Produktbeschreibung
Roman, ein Österreicher in den Mitdreißigern, lebt seit sieben Jahren in
SÆo Paulo. Heimisch geworden ist er dort allerdings nicht. So ziemlich
allem überdrüssig, verbringt er seine Zeit hauptsächlich damit, per Camcorder
seine Umgebung zu dokumentieren. Als Roman einen Brief von seiner Mutter
erhält, wird er, zumindest was sein Seelenleben betrifft, aus seiner Lethargie
gerissen: Die Mutter kündigt ihm die bevorstehende Vermählung mit ihrem
neuen Lebenspartner und den Umzug auf einen ökologisch geführten Bauernhof
an. Sein Entschluss nach Österreich zurückzukehren ist aber dennoch eher
eine Flucht aus seiner Beziehung und seinen Lebensumständen in Brasilien,
als das Bestreben, in die Familiengeschicke einzugreifen. So gerät Roman
nach Komprechts, einer Gemeinde in Niederösterreich, wo er auf dem Bio-Bauernhof
seiner Mutter und ihres Mannes, der kaum älter ist als der Rückkehrer,
ein Scheinkinderzimmer bezieht. Heftige Auseinandersetzungen mit der Mutter
sind die einzigen Aktivitäten, zu denen Roman sich aufraffen kann. Er streift
ziellos im Dorf umher, verbringt einen Großteil seiner Zeit beobachtend
auf Hochsitzen und filmt wahllos alles, was ihm vor die Kamera kommt. In
der Gemeinde geht es indessen hoch her. Die traditionelle Erwerbsgrundlage
der Menschen ist weggebrochen: Glashütte und Steinbruch mussten wegen Unwirtschaftlichkeit
schließen. Der Bürgermeister fürchtet um seine Wiederwahl und will die
>>Strukturkrise<< meistern, indem er Komprechts zu einem Zentrum des sanften
Tourismus gestaltet. Um sein Ziel zu erreichen, sind ihm jede Intrige und
andere durchaus unsanfte Mittel recht. Schließlich gerät im Dorf wie in
Romans Familie alles aus den Fugen. Die Mutter zieht sich desillusioniert
aus ihrem ökologischen Experiment zurück, als sie erkennt, dass die Bauern
der Region ihre Naivität ausgenutzt haben, um ihr Abfall als ökologische
Produkte zu verkaufen. In der Gemeinde, wo unterdessen der Busen der Natur
mit Bulldozern gestrafft wird, kommt es zu Mord und Totschlag: Eine alte
Dame, die dem Neuen nicht weichen will, kredenzt dem Bürgermeister eine
tödliche Pilssoße, sein Sohn wird infolge der Verwechslung mit einem Gastarbeiterkind
von Fremdenhassern ertränkt. Doch ein Ende kann es in diesem Chaos der
real existierenden Verhältnisse nicht geben. Das einzige, was Roman in
seiner Orientierungslosigkeit einfällt, ist die erneute Flucht und auch
die Zukunft der Gemeinde bleibt äußerst vage. Der Eiserne Vorhang fällt
und die Folgen für die Grenzgemeinde sind nicht zu erahnen.
Leseprobe
lch will nur Dich. PAUSE.
Wer ist denn die?
Irgendein Mädchen, man erfährt ihren Namen nicht.
Sie scheint Angst zu haben. Wie sie da auf dem Bett sitzt, mit
angezogenen Beinen, die Decke bis zum Hals. Und sehen Sie nur
ihr Gesicht an, es wirkt
Es wirkt verzerrt. Das kann aber wegen des Standbilds sein. Das
verzerrt immer etwas.
Hat er alle gefilmt, mit denen er
Er hat nicht alle gefilmt, er hat alles gefilmt.
Wo ist das denn aufgenommen worden?
In einem Hotel irgendwo in Brasilien. Aber schauen wir doch von
Anfang an. REW.
Rein sagt die Mutter, der Sohn will das nicht, er kann
es nicht mehr hören, wie sie Rein sagt, so emphatisch,
aber es klingt falsch und gekünstelt, warum sagt sie nicht
so wie früher "Kasserolle"? Sie verkleidet sich
mit diesem Wort, mit solchen Wörtern, so wie sie sich mit
ihrer blauen Latzhose verkleidet, und mit ihrem hennarot gefärbten
Haar. War ihr Haar nicht schon grau geworden? Jetzt ist es rot,
kurz geschnitten und struppig. Was hat die Mutter angerichtet?
Wieder viel zu viel auf diesem groben, pseudo-bäuerlichen,
von einem schwedischen Designer entworfenen Holztisch, der zu
massiv ist, um sich unter dem, was ihm aufgetragen wurde, sprichwörtlich
biegen zu können. Es dampft, es trieft in Töpfen, Schüsseln,
Kasserolle, Rein. Greif zu!
Autoreninfo
Menasse, RobertRobert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den ¯Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb®. Menasse lehrte anschließend sechs Jahre - zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie - an der Universität SÆo Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u.a. über: Hegel, Luk cs, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien.