Produktbeschreibung
In den beiden ersten Kapiteln des Romans werden zwei Erzählstränge geknüpft,
die zunächst ohne erkennbaren Zusammenhang sind, sich aber im weiteren
Verlauf zu einem Geflecht aus Spionageroman und psychologischer Lebensgeschichte
vermischen. Im ersten Kapitel wird der übergewichtige, an krankhafter Fresssucht
leidende US-Amerikaner Freddy Mancini vorgestellt, der in der Nacht des
21. Juni 1989 in Prag Zeuge der Entführung eines anderen Amerikaners aus
seiner Reisegruppe wird. In den übrigen, verstreut eingefügten Kapiteln
der Spionagestory tauchen als weitere Akteure der US-Geheimdienstler John
Marks - ein ehemaliger Geliebter von Hoffmans Frau - und Irena Nov auf,
die Journalistin und Doppelspionin, durch die Hoffman selbst in diese Geschichte
hineingezogen wird. Krankhafte Fresssucht ist eines der Leiden von Felix
Hoffman, der im zweiten Kapitel eingeführt wird. Der 59-jährige Diplomat
hat gerade seinen neuen Posten als Botschafter der Niederlande in der Tschechoslowakei
angetreten. Es soll der Höhepunkt und Abschluss einer bis dahin wenig erfolgreichen
diplomatischen Karriere werden. Auch familiär war Hoffman im Lauf seines
Lebens wenig Glück beschieden. Als jüdisches Kind hat er den Zweiten Weltkrieg
auf einem Bauernhof versteckt überlebt, während seine Eltern Opfer der
Judenvernichtung wurden. Seine beiden 1960 geborenen Zwillingstöchter Esther
und Miriam sind jung gestorben. Auch seine Ehe mit Marian existiert nur
noch auf dem Papier. Seit Esthers Tod im Jahr 1968 leidet Hoffman an chronischer
Schlaflosigkeit, die er mit übermäßigem Essen und Trinken sowie mit der
Lektüre des Philosophen Baruch de R Spinoza zu vertreiben sucht. Während
seiner nächtlichen Gelage schweifen seine Gedanken und Erinnerungen in
die Vergangenheit zurück. Die aktuellen Aufgaben Hoffmans als Botschafter
werden vom politischen Umbruch in Osteuropa bestimmt. Durch seine Beziehung
zu der Spionin Irene Nov , mit der er neues Liebesglück erlebt, wird Hoffman
schließlich in die zu Beginn des Romans gesponnene Spionageaffäre verwickelt.
Hierdurch wird er als Botschafter untragbar, ihm bleibt nur der Rücktritt.
Er zieht sich in die Niederlande zurück und opfert sein gesamtes Vermögen,
um alle Kopien eines Pornofilms seiner verstorbenen Tochter zurückzukaufen.
Am Ende steht der verbitterte Wunsch, das ihm verhasste 20. Jahrhundert
endlich auf dem Friedhof der Geschichte zu begraben. Als einziger Lichtblick
bleibt ihm die Versöhnung mit seiner Frau, die Pläne für den gemeinsamen
Lebensabend im sonnigen Süden schmiedet.
Kritik
¯Leon de Winter hat etwas zu erzählen, und er tut es so gut, daß man nicht genug davon bekommen kann.® Rolf Brockschmidt / Der Tagesspiegel Der Tagesspiegel
Leseprobe
Die Nacht die 21. Juni 1989
Freddy Mancini hatte beim Ungarn vier Steaks verdreckt, aber er
hatte Hunger, als er über den Flur zu seinem Hotelzimmer
trottete. Es war warm in Europa. Freddys gewaltiger Bauch hing
schwer unter seiner schwitzenden Brust, die maßgefertigten
Jeans spannten über seinem fetten Hintern. Seine Frau Bobby
ging leichtfüßig neben ihm her. Sie machte ihm Vorwürfe,
daß er heute abend seine Diät verhunzt habe.
"Verhunzt hast du sie, Freddy! Lernst du's denn nie? Die
letzten Tage hast du dich so schön dran gehalten - und nun?
Du lernst es wirklich nie."
In seinem Magen fühlte Freddy ein brennendes Schamgefühl,
aber auch der Hunger bohrte weiter - Hunger nach Erfüllung
und immerwährender Befriedigung. Er hatte mal gelesen, daß
ein besonderer Magennerv das Hungergebiet im Gehirn kitzelte.
So erklärten es sich die Rationalisten und Optimisten.
Die Diätassistentin zu Hause in San Diego hatte ihm vor ein
paar Monaten etwas anderes gesagt.
"Wie lange kommst du jetzt schon zu mir, Freddy? Drei Jahre?"
"Dreieinhalb. Beinahe vier."
"Was, schon so lange?"
"Was wolltest du sagen, Sandy?"
"Jedes Pfündchen geht durchs Mündchen ..."
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Autoreninfo
Leon de Winter, geboren 1954 in 's-Hertogenbosch als Sohn niederländischer Juden, arbeitet seit 1976 als freier Schriftsteller und Filmemacher und lebt in den Niederlanden. 2002 erhielt er den 'Welt'-Literaturpreis, 2006 die Buber-Rosenzweig-Medaille für seinen Kampf gegen Antisemitismus, und 2009 wurde er mit dem Literaturpreis der Provinz Brabant für 'Das Recht auf Rückkehr' ausgezeichnet. Seine Romane wurden in 20 Sprachen übersetzt, zuletzt erschien bei Diogenes 'Stadt der Hunde' (2025).