Produktbeschreibung
Ein Medizinstudent wird während seiner Famulatur in Schwarzach von einem
Assistenzarzt beauftragt, dessen Bruder, den einstigen Kunstmaler Strauch,
zu beobachten. Dieser lebt zurückgezogen in einem verkommenen Gasthaus
des abgeschiedenen, düsteren Gebirgsdorfs Weng im Salzburger Land. Von
seiner Umwelt wird der Außenseiter für verrückt gehalten. Er selbst wiederum
lebt mit dem Gefühl permanenter Bedrohung, fürchtet sich vor dem Weiblichen
und menschlichen Ansammlungen. Seine resignative, depressive Weltsicht
teilt er in ausufernden Monologen und Visionen dem Studenten mit, der zunehmend
ergriffen wird von der selbstzerstörerischen Gedankenwelt Strauchs. Nach
Schwarzach zurückgekehrt, erfährt der Student durch eine Zeitungsnotiz,
dass Strauch verschwunden ist und eine Suchaktion wegen der Witterung abgebrochen
werden musste. Der pessimistischen Bewusstseinshaltung des Malers entspricht
die Landschaftsschilderung: Statt Bergluft herrscht der Geruch von Fäulnis
und Verwesung, der Himmel wird zur Hölle; als Folge des Weltkriegs und
der fortschreitenden Technisierung stellt selbst die ländliche Provinz
keine Idylle mehr da und so hat sich auch die herkömmliche Heimatliteratur
verkehrt.
Leseprobe
Eine Famulatur besteht ja nicht nur aus dem Zuschauen bei komplizierten
Darmoperationen, ans Bauchfellaufschneiden, Lungenflügelzuklammern
und Fußabsägen, sie besteht wirklich nicht nur aus
Totenaugenzudrücken und aus Kinderherausziehen in die Welt.
Eine Famulatur ist nicht nur das: abgesägte ganze und halbe
Beine und Arme über die Schulter in den Emailkübel werfen.
Auch besteht sie nicht aus dem ständig hinter dem Primarius
und dem Assistenten und dem Assistenten des Assistenten Dahertrotteln,
aus dem Schwanzdasein der Visite. Aus dem Vorspiegeln falscher
Tatsachen allein kann eine Famulatur auch nicht bestehen, nicht
aus dem, daß ich sage: »Der Eiter wird sich ganz einfach
in Ihrem Blut auflösen. und Sie sind wieder gesund.«
Und aus hunderterlei anderen Lügen. Nicht nur daraus, daß
ich sage: »Es wird schon!« - wo nichts mehr wird. Eine
Famulatur ist ja nicht nur eine Lehrstelle für Aufschneiden
und Zunähen, für Abbinden und Aushalten. Eine Famulatur
muß auch mit außerfleischlichen Tatsachen und Möglichkeiten
rechnen. Mein Auftrag, den Maler Strauch zu beobachten, zwingt
mich, mich mit solchen außerfleischlichen Tatsachen und
Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Etwas Unerforschliches
zu erforschen. Es bis zu einem gewissen erstaunlichen Grad von
Möglichkeiten aufzudecken. Wie man eine Verschwörung
aufdeckt. Und es kann ja sein, daß das Außerfleischliche,
ich meine damit nicht die Seele, daß das, was außerfleischlich
ist, ohne die Seele zu sein, von der ich ja nicht weiß,
ob es sie gibt, von der ich aber erwarte, daß es sie gibt,
daß diese jahrtausendealte Vermutung jahrtausendealte Wahrheit
ist; es kann durchaus sein, daß das Außerfleischliche,
nämlich das ohne die Zellen, das ist, woraus alles existiert,
und nicht umgekehrt und nicht nur eines aus dem andern.
Autoreninfo
Thomas Bernhard (1931-1989) war einer der bekanntesten österreichischen Erzähler des zwanzigsten Jahrhunderts. Er wuchs in Wien und in Seekirchen am Wallersee auf, wurde für kurze Zeit in ein Heim für schwer Erziehbare geschickt, brach seine Schulausbildung ab und wurde Kaufmannsgehilfe. Von 1947 bis 1948 arbeitete er als Lehrling. Dabei zog er sich eine Lungenentzündung zu, die sich zur Tuberkulose ausweitete. Er verbrachte die nächsten beiden Jahre in verschiedenen Krankenhäusern. Nach seiner Genesung wurde er Gerichtsreporter. Er studierte Gesang und veröffentlichte erste Texte. Der Durchbruch als Romanautor gelang ihm 1963 mit "Frost", weitere Romane folgten. Auch als Dramenautor machte sich Bernhard einen Namen. Ab 1965 lebte er in Wien und auf einem oberösterreichischen Gutshof. 1984 kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen seines Romans "Holzfällen".
1970 wurde Thomas Bernhard mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.