Produktbeschreibung
Im Krankenzimmer Nr. 6 eines Krankenhauses in der russischen Provinz lebt der Beamte Ivan Dmitric Gromov. Er leidet angeblich unter Verfolgungswahn, deshalb ist er hier in der Abteilung für Geisteskranke untergebracht. Der Chefarzt des Krankenhauses, Dr. Andrej Efimyc Ragin, hat ihn selbst eingewiesen. Zufällig kommt er mit Gromov ins Gespräch und entdeckt in ihm den einzigen vernünftigen Gesprächspartner des ganzen Provinznestes. Immer häufiger werden die Gespräche über Gott und die Welt. Um Dr. Ragin beginnen sich wegen seiner häufigen Besuche im Krankenzimmer Nr. 6 Gerüchte zu ranken; auch er fühlt sich zusehends beobachtet, belauscht, verfolgt.
Kritik
¯Als Stilist ist Cechov unerreicht, und der künftige Literarhistoriker wird, wenn er über das Wachstum der russischen Sprache nachdenkt, sagen, diese Sprache ist von Puschkin, Turgenjew und Cechov geschaffen worden.® Maksim Gorkij
Leseprobe
Auf dem Hof des Krankenhauses steht ein kleines Nebengebäude,
umgeben von einem ganzen Wald von Kletten, Brennesseln und wildem
Hanf. Das Dach ist verrostet, der Schornstein zur Hälfte
eingestürzt, die Stufen der Vortreppe sind verfault und mit
Gras bewachsen, vom Putz findet man nur noch Spuren. Mit der
Vorderfront blickt es zum Krankenhaus, mit der Rückseite
auf freies Feld, von dem es nur durch den grauen, mit Nägeln
besteckten Krankenhauszaun getrennt ist. Diese Nägel, deren
Spitzen nach oben gerichtet sind, der Zaun und das Gebäude
selbst zeigen jenes eigentümliche, trostlose, verwünschte
Aussehen, das bei uns nur Krankenhaus- und Gefängnisbauten
haben.
Wenn Sie nicht fürchten, sich an den Nesseln zu verbrennen,
so gehen wir zusammen den schmalen Pfad entlang, der zu dem Nebengebäude
führt, und schauen, was sich dort abspielt. Nachdem wir
die erste Tür geöffnet haben, betreten wir den Flur.
An den Wänden und neben dem Ofen häufen sich ganze
Berge von Krankenhausgerümpel. Matratzen, alte zerfetzte
Kittel, Hosen, Hemden mit blauen Streifen, unbrauchbares, abgetragenes
Schuhwerk - dieser Krempel treibt sich hier zerknittert und durcheinander
in Haufen herum, fault und verbreitet einen erstickenden Gestank.
Auf diesem Plunder liegt ständig, mit der Pfeife zwischen
den Zähnen, der Wächter Nikita, ein alter, ausgedienter
Soldat mit braun gewordenen Ärmellitzen. Er hat ein strenges,
ausgemergeltes Gesicht, buschige Augenbrauen, die seinem Gesicht
den Ausdruck eines Steppenschäferhundes verleihen, und eine
rote Nase; er ist klein von Wuchs, hager und sehnig, aber er hat
eine imponierende Haltung und gewaltige Fäuste.
Autoreninfo
Anton Cechov, geboren 1860 in Taganrog. Tätig als Arzt, erkrankte selbst an Tuberkulose und verbrachte ab 1898 sein Leben in Kurorten in Südrußland und in Westeuropa. Er starb 1904 in Badenweiler. Seine Erzählungen und seine Dramen (darunter 'Drei Schwestern', 'Der Kirschgarten', 'Onkel Vanja') - gespielt heute auf allen Bühnen - stellten einen bedeutenden Neubeginn für das russische Theater dar.Peter Urban, geboren 1941 in Berlin, studierte Slavistik, Germanistik und Geschichte in Würzburg und Belgrad, war Verlagslektor bei Suhrkamp, Hörspieldramaturg beim WDR und ist Lektor im Verlag der Autoren in Frankfurt; er übersetzte u.a. Werke von Gorkij, Ostrovskij, Daniil Charms, Kazakov, Chlebnikov und das gesamte dramatische Werk von Anton Cechov. Für seine Neuedition und -übersetzung der Cechov-Briefe wurde ihm der Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis zuerkannt.