Produktbeschreibung
Die verwitwete Ljubov Andreevna Ranevskaja kehrt nach langem Aufenthalt in Frankreich auf ihr russisches Gut zurück, das von einem riesigen Kirschgarten umgeben ist. Sie ist von der Schönheit der Kirschblüte und von Kindheitserinnerungen überwältigt. Doch das Gut ist tief verschuldet, und die Zwangsversteigerung steht bevor ...
Kritik
¯Als Stilist ist Cechov unerreicht, und der künftige Literarhistoriker wird, wenn er über das Wachstum der russischen Sprache nachdenkt, sagen, diese Sprache ist von Puschkin, Turgenjew und Cechov geschaffen worden.® Maksim Gorkij
Leseprobe
Erster Akt
Ein Zimmer, das noch immer das Kinderzimmer genannt wird.
Eine der Türen führt in Anjas Zimmer. Morgendämmerung,
bald geht die Sonne auf. Es ist schon Mai, die Kirschbäume
blühen, doch im Garten ist es kalt, Nachtfrost. Die Fensterläden
sind geschlossen. Dunjasa und Lopachin kommen, Dunjasa mit einer
Kerze, Lopachin mit einem Buch in der Hand
LOPACHIN Gott sei Dank, der Zug ist da. Wie spät ist es?
DUNJASA.Bald zwei. Löscht die Kerze. Es ist schon hell.
LOPACHIN wieviel Verspätung hat der Zug denn nun gehabt?
Ein, zwei Stunden doch mindestens. Gähnt und streckt sich.
Ich bin ein schöner Trottel! Komme extra hierher, um sie
von der Bahnstation abzuholen, und dann verschlafe ich ... Im
Sitzen eingeschlafen. Ärgerlich ... Du hättest mich
doch wecken können.
DUNJASA Ich dachte, Sie seien weggefahren. Horcht. Da, es scheint,
sie kommen schon.
LOPACHIN horcht Nein Sie müssen erst noch das Gepäck
abholen, dies und das erledigen ... Pause. Ljubov Andreevna
hat fünf Jahre im Ausland gelebt, ich weiß nicht, was
aus ihr geworden ist ... Ein guter Mensch war sie. Ein heiterer,
einfacher Mensch. Ich weiß noch, als ich ein Junge war,
fünfzehn Jahre etwa, da hat mir mein seliger Vater - er hatte
damals hier im Dorf einen Laden - einmal so mit der Faust ins
Gesicht geschlagen, daß mir das Blut aus der Nase lief ...
Wir waren damals wegen irgend etwas auf den Hof gekommen, und
er hatte einen in der Krone. Ljubov Andreevna, ich weiß
es noch wie heute, sie war jung, und so zierlich, sie führte
mich zur Waschschüssel, hier in diesem Zimmer, dem Kinderzimmer.
Nicht weinen, Bäuerlein, sagte sie, »bis zur Hochzeit
ist alles wieder gut ... « Pause. Bäuerlein
... Mein Vater, das stimmt, war wirklich ein Bauer, und ich hier
in weißer Weste, gelben Schuhen. Der Schweinerüssel
im Konditorgeschäft ... Nur daß ich reich bin, viel
Geld habe, aber wenn man sichs genau überlegt, dann bleibt
der Bauer eben Bauer ... Blättert in dem Buch. Da
habe ich dies Buch gelesen und nichts verstanden. Hab gelesen
und bin eingeschlafen. Pause.
Autoreninfo
Peter Urban, geboren 1941 in Berlin, studierte Slavistik, Germanistik und Geschichte in Würzburg und Belgrad, war Verlagslektor bei Suhrkamp, Hörspieldramaturg beim WDR und ist Lektor im Verlag der Autoren in Frankfurt; er übersetzte u.a. Werke von Gorkij, Ostrovskij, Daniil Charms, Kazakov, Chlebnikov und das gesamte dramatische Werk von Anton Cechov. Für seine Neuedition und -übersetzung der Cechov-Briefe wurde ihm der Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis zuerkannt.Anton Cechov, geboren 1860 in Taganrog. Tätig als Arzt, erkrankte selbst an Tuberkulose und verbrachte ab 1898 sein Leben in Kurorten in Südrußland und in Westeuropa. Er starb 1904 in Badenweiler. Seine Erzählungen und seine Dramen (darunter 'Drei Schwestern', 'Der Kirschgarten', 'Onkel Vanja') - gespielt heute auf allen Bühnen - stellten einen bedeutenden Neubeginn für das russische Theater dar.