Produktbeschreibung
Um die fast legendäre Gestalt Leopolds I., Fürst von Anhalt-Dessau, ranken sich diese sieben Humoresken. Mitreißend und witzig berichtet May von dem seltsamen Fürsten, der zwar ein Rauhbein und Grobian, dabei aber auch ein gutmütiger und in seiner Art gerechter Landesvater war. Der Band enthält folgende Erzählungen: 1.) Der Scherenschleifer; 2.) Ein Fürst-Marschall als Bäcker; 3.) Der Pflaumendieb; 4.) Fürst und Leiermann; 5.) Drei Feldmarschalls; 6.) Pandur und Grenadier; 7.) Seelenverkäufer; Nachwort; Eine Studienreise Karl Mays (1898) von Kantor Fr. Hinnrichs; Kartenskizze zu den Erzählungen. Die vorliegenden Erzählungen spielen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Titel ist als ebook erhältlich!
Leseprobe
DER SCHERENSCHLEIFER
(1707)
Die Vogelscheuche
Wenn man zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts auf der Straße
von Oschersleben nach Halberstadt ging, hatte man einen ausgedehnten
Wald zu durchwandern, in dem man wohl häufig einem Stück
Wild, selten aber einem Menschen begegnete. Der Wald war sogar
ein wenig verrufen, und es galt in der Umgegend als ein Beweis
von Mut, wenn einer sich entschloß, die Straße ohne
Begleitung zu durchwandern...
Eines Tages gab es bereits am frühen Morgen drei solch mutige
Personen. Sie wanderten die Straße durch den Wald, jeder
für sich allein, jeder von den anderen durch große
Entfernung getrennt, so daß jeder von ihnen glaubte, allein
zu sein.
Am Straßenrand saß ein junger Mann, so etwa im Anfang
der zwanziger Jahre. Er hatte seine riesigen, aber wohlgebauten
Glieder bequem ins Gras gestreckt und kaute behaglich an einer
trockenen Brotrinde, zu der er hie und da einen Schnitt harten
Bauernkäse zwischen die blanken Zähne schob. Seiner
Kleidung nach mußte er der Sohn nicht ganz armer Bürgersleute
sein. Der Anzug war sauber und aus einem Tuch gefertigt, dessen
Preis ein Armer nicht bezahlen konnte. Seine Züge waren
ebenmäßig schön; der klare, mutige Blick seines
tiefblauen Auges paßte gut zu der kraftvollen Gestalt -
und ein schelmischer unternehmender, fast listiger Zug um die
mit einem Schnurrbärtchen geschmückten Lippen gab dem
jugendlichen Gesicht einen gewinnenden Ausdruck.
Autoreninfo
Karl May (1842-1912) war das fünfte von 14 Kindern einer armen Weberfamilie aus Ernstthal/Sachsen. Vom Studium am Lehrerseminar wurde er zunächst ausgeschlossen, nachdem er Kerzenreste unterschlagen hatte. Später konnte er die Ausbildung fortsetzen, arbeitete nur 14 Tage in seinem Beruf, bevor er wieder des Diebstahls bezichtigt und von der Liste der Kandidaten gestrichen wurde. Wegen Diebstahls, Betrugs und Hochstapelei wurde er in den Jahren darauf immer wieder verhaftet und monatelang festgesetzt. Die Jahre zwischen 1870 und 1874 verbrachte er im Zuchthaus Waldheim. Erst viele Jahre nach dem Erscheinen des akribisch recherchierten Orientzyklus reiste Karl May tatsächlich in den Orient. Karl May war lange Zeit einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller. Er starb1912 in Radebeul.